„Ich habe Miesmuscheln gehasst. Jetzt liebe ich sie!“
Die Hobenköök im Hamburger Oberhafen ist Restaurant, Markthalle und Catering und bezieht ihre Produkte fast ausschließlich von Bauern aus der Region. Das ist nicht nur lecker, sondern soll auch ein Bewusstsein für gute und ursprüngliche Lebensmittel schaffen. Thomas Sampl ist Mitgründer und Koch des Hobenköök und erzählt im Interview, was im Lebensmittelhandel im Argen liegt und wie verblüfft er selbst oft über den Geschmack guter Produkte ist.
Interview: Sabrina Waffenschmidt
Fotos: Yvonne Schmedemann, Hobenköök
Ihr habt die Hobenköök vor anderthalb Jahren eröffnet und die Hamburger haben sie außergewöhnlich schnell und gut angenommen. Wie kamst du auf die Idee, ein Restaurant mit Markthalle zu eröffnen?
Wir bieten im Restaurant, in der Markthalle und im Catering regionale und saisonale Lebensmittel von 200 Lieferant*innen, 80 Prozent der Produkte stammen aus einem Umkreis von 200 Kilometer. Gekocht wird im Restaurant, was in der Markthalle übrig ist. Das heißt, meine Köche und Köchinnen wissen bei der Vorbereitung nicht, was sie kochen werden. Die Idee ist entstanden, weil ich es selbst schon immer sehr schwierig fand, an gute und regionale Lebensmittel ranzukommen. Die besten Produkte bekommt man auf dem Wochenmarkt, weil sie dort direkt von den Erzeuger*innen verkauft werden, aber mir fehlte oft die Zeit und die Lust, um auf den Markt zu fahren. Also habe ich die Hobenköök ein bisschen auch für mich selber umgesetzt.
Nach welchen Kriterien sucht ihr die Produkte aus?
Meistens ist es so, dass die Produzent*innen bei uns vorbeikommen und ihre Geschichte erzählen. Manche fallen dann auch schon ganz schnell raus, weil sie etwa ihre Früchte auf dem Großmarkt kaufen und die Birnen aus China kommen. Uns geht es außerdem um langfristige Partnerschaften. Ich kritisiere, dass Koch und Produzent ganz lange überhaupt nicht miteinander gesprochen haben. Bei uns ist das anders. Wir kennen jede*n einzelne*n unserer Lieferant*innen und es ist mir wichtig, dass man sich zusammen weiterentwickelt. Zum Beispiel baut einer inzwischen ein Hektar Hopfen für uns an.
Wie finden die Produzent*innen diese direkte Art der Zusammenarbeit?
Meistens ist es erst einmal kompliziert. Wir setzen uns intensiv mit ihnen auseinander und sie sind oft sehr perplex, dass da jemand persönlich vor ihnen steht. Sie sind es eben überhaupt nicht gewohnt, so zu arbeiten. Teilweise gibt es auch ganz skurrile Strukturen. Einem unserer Bauern konnten wir anfangs unsere Bestellungen immer nur donnerstags zwischen 14 und 16 Uhr per Fax schicken. Wenn wir das verpasst haben, gab es eben keine Lieferung. Aber wenn diese anfänglichen Herausforderungen erst mal überwunden sind, freuen die sich natürlich einen Keks. Denn wir nehmen ihnen ja eine große Menge ab und sie wissen, dass das Produkt in guten Händen ist und dessen Geschichte weitererzählt wird.
Welche Produkte haben dich selbst am meisten überrascht?
Mich überraschen immer wieder die Basics. Karotten zum Beispiel. Wenn der Boden richtig beschaffen ist, bekommen die einen viel intensiveren Geschmack. Ich koche auch viel mit den Essigen eines Lieferanten von uns. Schaut man dort auf das Etikett eines Tomatenessigs, steht da eine Zutat drauf – und zwar: Tomatenessig. Oder wir verkaufen einen Joghurt, ohne Zusatzstoffe, ohne Zucker, ohne Sirup. Der hat die perfekte Süße, den idealen Geschmack. Und wenn man erst einmal versteht, wie viele konventionelle Lebensmittel mit Zusatzstoffen gepanscht sind, kann man nicht mehr zurück.
Ich bin seit über 20 Jahren Koch und habe mich schon immer intensiv mit Lebensmitteln und Produkten auseinandergesetzt. Aber in den letzten anderthalb Jahren Hobenköök hatte ich so viele Wow-Erlebnisse wie in den ganzen Jahren davor nicht. Und meist sind das eben ganz simple Dinge. Die größte Überraschung für mich waren aber Miesmuscheln. Ich habe Miesmuscheln gehasst. Die haben immer gestunken, waren immer zäh. Üblicherweise findet man in der Muschel ein kleines, etwa fingernagelgroßes Stück Fleisch. Eigentlich ist das aber ganz anders. Eigentlich ist die Muschel voll mit Fleisch. Inzwischen beziehen wir die Muscheln von einer kleinen Meeresfarm aus der Kieler Förde und seither liebe ich sie und koche sie auch zu Hause. Hier schmecken die Muscheln so, wie sie schmecken sollten. Damit sie so werden, braucht es aber einfach einen langen Reifungsprozess und den richtigen Austausch von Wasser. Das leistet sich nur fast keiner.
Ihr veranstaltet zusätzlich regelmäßige Events, wie zum Beispiel den Hoben-Schnack, bei dem ihr Lieferant*innen mit euren Gästen zusammenbringt. Warum?
Wir machen die Events, damit die Leute mit den Produzent*innen ins Gespräch kommen. Denn diese Möglichkeit hat man als Konsument*in relativ selten. Letzte Woche beispielsweise war ein Marmeladenlieferant zum Hoben-Schnack bei uns. Man könnte denken, dass das nicht so spannend ist, weil jeder ungefähr weiß, was in einer Marmelade steckt, der schon mal selbst eine gekocht hat. Aber im Gegenteil. Er hat die Etiketten und Inhaltsstoffe von konventionellen Marmeladen auseinander genommen und die Gäste haben nur gestaunt. Die meisten haben das Wissen gar nicht, um die Etiketten zu verstehen. Dabei liegt da so viel im Argen. Das realisiert man erst, wenn man es von einem Expert*in erklärt bekommt.
Deprimiert es dich nicht auch, zu wissen, dass im Lebensmittelhandel so viel falsch läuft?
Eine Zeit lang hat mich das extrem deprimiert. Ich habe unheimlich viel recherchiert und mir auch privat alles an Informationen reingezogen. Dann habe ich eines Morgens fast einmal eine Frau angebrüllt, die ihr Franzbrötchen beim Schanzenbäcker gekauft hat. Das war der Moment, in dem ich gemerkt habe, dass ich das alles ein bisschen stärker filtern und ausblenden muss. Denn aus meiner Erfahrung kann man ja nur dann etwas gegen diese Missstände tun, wenn man nicht mit Extremen ins Gespräch geht. Nur dann kann eine Diskussion entstehen.
Es heißt oft, dass die Leute nicht bereit sind, Geld für gute Lebensmittel auszugeben. Erlebst du das auch?
Das ist absoluter Quatsch! Jede*r, der*die begreift, wo die Herausforderungen in unserer Gesellschaft liegen, ist bereit dafür, den angemessen Preis zu bezahlen. Ich habe mich vor kurzem mit einer Kundin unterhalten, die seit vielen Jahren ein Haushaltsbuch führt. Sie hatte sich gerade ein ganzes Jahr ausschließlich von Bioprodukten ernährt und nur zwei Prozent mehr ausgegeben. Es ist ja auch so, dass man viel mehr einkauft und wegschmeißt, wenn man konventionell einkauft. Weil die Mengen vorbestimmt sind, weil die Zusatzstoffe nach einer gewissen Zeit das Produkt ungenießbar machen oder weil es eben schlicht oder einfach nicht gut schmeckt. Tatsächlich kaufen bei uns Menschen aller Altersstufen, jeder Coleur und unterschiedlichsten Einkommens ein. Das sind Leute, die einfach keinen Bock mehr auf das Andere haben. Man kann das in den Supermärkten nicht so einfach ändern, aber wenn du auf den Wochenmarkt gehst oder zu uns kommst, förderst du auf direktem Weg die Region und änderst etwas ganz Entscheidendes.