„Wandern ist der Gegenentwurf zu unserer digitalen Welt”

Sina Schwarz und Theresa Wißmann wandern seit vielen Jahren gemeinsam und haben mit ihren Fotos und Texten maßgeblich den „WOCHENENDER: Brandenburg Nordosten“ geprägt. Warum Wandern wieder cool ist und Schokolade auf keiner Tour fehlen darf, erzählen Sie im Interview.  

Interview: Sabrina Waffenschmidt / Fotos: Milch & Moos, Enver Hirsch

Autorin Theresa Wißmann (links) und Fotografin Sina Schwarz (rechts) stillen beim Wandern ihre Natursehnsucht.

Ihr habt euch über das Wandern kennengelernt und später das digitale Erzählformat Milch & Moos entwickelt, um eure Wandergeschichten dort zu teilen – erzählt doch mal!

Theresa: Wir haben beide in Konstanz am Bodensee studiert und sind uns ein paar Mal auf Partys begegnet. Einige Jahre später sind wir beide unabhängig voneinander nach Berlin gezogen und haben uns hier über eine gemeinsame Freundin wiedergetroffen. Sina erzählte mir dann, dass sie am Wochenende gerne rausfährt und wandern geht. Ich hatte mit Wandern damals nicht viel am Hut und kannte das nur aus der Kindheit. Aber ich bin auf dem Land aufgewachsen, und seit ich in der Stadt wohnte, wurde meine Natursehnsucht immer größer. Also kam ich mit – und seither machen wir das regelmäßig.

Sina: Am Wegesrand haben wir dann im wahren Sinne des Wortes noch ein zweites Thema für uns entdeckt: Genuss und Kulinarik. Da unsere Freund*innen immer wieder gefragt haben, was wir da draußen überhaupt machen, haben wir Lust bekommen, unsere Erfahrungen zu teilen. Die Idee, unsere Wanderungen in Wort und Bild zu erzählen und Milch & Moos zu entwickeln, entstand schließlich bei einem Döner auf der Parkbank.

Wandern war lange als altmodisch verschrien, wurde aber in den vergangenen Jahren von vielen, gerade auch jungen, Menschen wiederentdeckt. Woran liegt das?

Theresa: Als wir mit dem Wandern angefangen haben, und uns freitagabends in der Bar regelmäßig pünktlich verabschiedeten, haben wir immer schräge Blicke geerntet. Keiner hat das so richtig verstanden. Wenn man heute in eine Bar gehen könnte und erzählen würde, dass man am nächsten Tag zum Wandern aufbräche, wäre man kein Outsider mehr. Das kann natürlich auch daran liegen, dass wir jetzt älter sind, aber ich glaube schon, dass die Natursehnsucht in den letzten Jahren zugenommen hat. Und wir treffen gerade um Berlin immer weniger ältere Herrschaften in beiger Funktionskleidung und mehr junge Leute, die so auch in Neukölln rumlaufen könnten.

Sina: Durch Corona sind natürlich noch viel mehr Leute draußen. Aber generell sind Natursehnsucht, Stadtflucht, aber auch Regionalität und Meditation Themen, die uns aktuell alle vermehrt beschäftigen. Diese Bedürfnisse entstehen als Gegenentwurf zu unserer digitalen Welt und zur Stadt, die uns manchmal zu ersticken droht.

Theresa: Es ist unheimlich schön, zu beobachten, wie man nach so einem Wandertag herunterfährt, den Kopf freibekommt und der Alltagsstress in die Ferne rückt.   

Was packt ihr euch denn für einen Wandertag in euren Rucksack?

Sina: Wasser.

Theresa: Bikini.

Sina: Im Winter: Sitzkissen.

Theresa: Sonnenspray.

Sina: Mückenspray.

Theresa: Ein Taschenmesser.

Sina: Ausreichend Proviant und ganz wichtig: Schokolade!

Theresa: Genau, Snacks, die man im Gehen essen kann – und eine Picknickdecke.

Sina: Und je nach Region eine Wanderkarte oder Handy mit GPS.

Seid ihr euch beim Wandern denn auch schon mal gegenseitig auf die Nerven gegangen?

Sina: Das Gute am Wandern ist ja, dass man nicht immer reden muss. Man darf auch mal fünf Schritte hinterher oder vorneweg gehen. Wir haben ein ähnliches Wandertempo, gehören eher zu den Genusswander*innen und nicht zu den Kampfwander*innen. Und wir haben auf unseren Touren festgestellt, dass wir eine ähnliche Art haben, auf Erschöpfung, Stress oder auch Hunger zu reagieren. Wir werden beide etwas überdreht, aber nicht aggressiv. Dann ist es unheimlich wichtig, dass Schokolade da ist!

Sina, du arbeitest in deinem Berufsalltag als Kommunikationsdesignerin. Theresa, du arbeitest hauptberuflich als Floristin. Welchen Ausgleich bietet euch das Fotografieren und das Schreiben?

Sina: Für mich sind das überhaupt keine entgegengesetzten Professionen. In beiden Berufen geht es um Gestaltung, darum, die richtigen Ausschnitte zu setzen und bestimmte Inhalte in Szene zu rücken. Ausgleich bietet das Rausfahren, sich mit der Landschaft zu beschäftigen, zu recherchieren, und eben nicht vor dem Bildschirm zu sitzen.

Theresa: Für mich unterscheiden sich meine beiden Berufe vor allem im Tempo. Im Blumenladen ist es bunt und schnell, wir arbeiten relativ eventgebunden und ich habe den ganzen Tag viele Menschen um mich, wenn nicht gerade Lockdown ist. Wenn ich rausfahre, habe ich die Entschleunigung, die ich so sehr suche und brauche. Und die zieht sich beim Schreiben weiter. Ich bin in meiner Gedankenwelt und kann die Dinge, die ich gesehen und erlebt habe, in meinem Kopf nachwirken lassen. Das Blumenbinden ist etwas Körperliches, das Schreiben etwas Geistiges. Und natürlich ist es für mich auch schön, zu sehen, wie sich die Natur draußen gerade entwickelt, und was es im Vergleich dazu gerade im Blumenladen gibt.

Welcher Ort im „WOCHENENDER: Brandenburg Nordosten“ ist denn euer absoluter Favorit?

Theresa: Eine ganz besondere Begegnung war für mich die mit dem Gastgeber der Waldschenke am Baa-See. Da sind ja auch erst einmal unterschiedlichste Welten aufeinander getroffen: Er hat sich da eine wahnsinnig tolle Lebenswelt aufgebaut ist, die von unserem Alltag in der Stadt weit weg ist. Wir mussten uns kurz beschnuppern und sind uns dann im Gespräch aber sehr nahe gekommen.

Sina: Trotz der unterschiedlichen Welten aus denen wir kommen, haben wir schnell gemerkt, dass uns das Thema Wandern verbindet. Das ist einfach immer wahnsinnig schön zu sehen, wie diese Menschen mit Herz und Seele Gastgeber*innen sind und sich mit voller Leidenschaft in den Austausch stürzen. Das habe ich auch ganz besonders in Terezas Gästehaus gespürt.

Ist bei euch schon einmal der Wunsch entstanden, diesen Menschen zu folgen und ein Herzensprojekt auf dem Land zu verwirklichen?

Theresa: Das ist ein ganz interessanter Nebeneffekt! Jedes Mal, wenn ich rausfahre, vergleiche ich die Orte mit meiner Wunschvorstellung von einem kleinen Ort da draußen, an dem ich leben könnte. Und ich frage mich schon auch immer, ob ich mir vorstellen könnte, dort Gastgeberin zu sein oder eine Manufaktur aufzubauen.

Sina: Das geht mir genauso. Ich weiß nicht, ob Berlin die Stadt ist, in der ich alt werden möchte. Aber im Moment finde ich es einfach sehr komfortabel, von Berlin aus in jede Himmelsrichtung hinausfahren zu können, und mich nicht an einen bestimmten Ort binden zu müssen. Kauft man sich irgendwo ein Häuschen oder einen Garten, fährt man am Wochenende ja zwangsläufig meist dorthin. Das Entdecken des ganzen Umlandes würde dann wegfallen. Dafür gibt es zu viele spannende Orte und Projekte da draußen. Ich bin im Moment also ganz zufrieden, wo ich bin!

Theresa Wißmann ist fasziniert von Begegnungen mit Menschen. Eigentlich ist sie Kunsthistorikerin, aber in den letzten Jahren hat sie beruflich viel mehr für die Vermarktung guter Lebensmittel getan als für die Kunst. Sie taucht mit Begeisterung in neue Interessengebiete ein und erobert sich unbekanntes Terrain. Von einem Dorf in der Lüneburger Heide zog es sie nach Berlin und immer, wenn die Abenteuerlust sie kitzelt, geht es auf Entdeckungstour raus in die Welt.

Sina Schwarz ist im Süden Deutschlands aufgewachsen und nun in der Hauptstadt als Kommunikationsdesignerin und Art Direktorin tätig, wo sie sich am liebsten mit Wissenschaftskommunikation und der visuellen Vermittlung komplexer Themen beschäftigt. Zwischen den Wochenenden im Freien überbrückt sie die Zeit am liebsten mit dem Lesen und Sammeln von Büchern über die Natur und dem Austüfteln neuer Wandertouren.