Was es heißt, sich zu Hause zu fühlen
Seit Anfang Mai dürfen touristische Unterkünfte in St. Peter-Ording, auf Eiderstedt und in Nordfriesland wieder öffnen. Zu den Gastgeber*innen gehören auch Martje und Olaf Thiesen, die auf Eiderstedt zwei kuschelige Ferienhäuser im idyllischen Nirgendwo vermieten: das „Kleine Glueck“ und das „Große Glueck“. Was Glück für die beiden bedeutet, welche Rolle die Region dabei spielt und warum es höchste Zeit war, dass der Tourismus wieder öffnet, erzählen sie im Interview.
Interview: Eli Frenz
Die Corona-Pandemie hat den Tourismus und die Gastgeber*innen in eine Krise gebracht. Wie ist es euch im letzten Jahr ergangen – und was wünscht ihr euch vom Modellprojekt?
Martje: Das letzte Jahr war sehr gemischt. Im Sommer gab es einen riesigen Ansturm von Gästen und damit auch starke Umsätze. Ab November sind wir dann in ein totales Loch gefallen. Nach sechs Monaten Schließung war es nur noch ein Kampf ums Überleben. Wir fallen als private Vermieter durchs Raster und haben keinerlei finanzielle Unterstützung erhalten. Wir mussten nachfinanzieren, uns Geld von der Familie leihen. Meiner Meinung nach wäre eine Öffnung der Ferienhäuser viel früher möglich gewesen. Aber die Gäste, die jetzt da sind, sind wunderbar! Jede*r freut sich, endlich wieder rauszukommen.
Sagt mal, was gefällt euch denn besonders gut an Eiderstedt?
Martje: Ganz klar: die Ruhe! Wenn ich aus Hamburg hierher zurückkomme, wird mir jedes Mal wieder bewusst, warum so viele Leute ihren Urlaub hier verbringen. Weil man einfach sofort entschleunigt. Hier kann man noch für sich sein und trifft auch beim Spazierengehen oft keinen. Das gefällt mir!
Ich muss ja gestehen, dass mich diese Ruhe und Weite anfangs total irritiert und erschreckt hat.
Martje: Das geht nicht nur dir so. Ich habe zugezogene Freund*innen, die richtig Angst vor dem Winter hier haben.
Olaf: Das liegt vor allem daran, dass das Wetter dann oft sehr extrem ist. Es schneit, gießt in Strömen und stürmt – das ist einfach krass! Dann versinkt hier alles im Schlamm. Dafür ist es im Frühling oder Sommer wahnsinnig schön.
Martje: Wenn zum Beispiel die Tiere abends auf der Weide im Bodennebel versinken, hat das etwas ganz Mystisches. Und dieser klare Sternenhimmel in der Nacht! Dieses Dunkelheit gibt es in der Stadt ja gar nicht mehr.
Vor einigen Monaten bin ich mit meiner Tochter mit zwei uralten Fahrrädern durch die Gegend gefahren. Da sagte sie zu mir: „Mama, ich fühl mich hier immer so frei!“.
Martje: Hier scheint die Zeit ein bisschen stehen geblieben zu sein. In den 1990er-Jahren konnte es mir gar nicht schnell genug gehen, dass sich Sachen verändern und ich von zu Hause wegkomme. Aber heute freue ich mich, dass das Alte auch bewahrt bleibt.
Olaf: Tetenbüll hat sich sogar eher zurückverwandelt, finde ich. Ich bin ja hier aufgewachsen und früher gab es noch einen Kaufmann, einen Bäcker, zwei Gaststätten und eine Post. Das ist alles nicht mehr da. Aber es ist wie überall und die kleinen Läden können sich nicht halten. Doch im Ortskern ist das unheimlich schön, dass so vieles erhalten bleibt und auch zurecht gemacht wird.
Auch eure beiden Ferienhäuser „Kleines Glueck“ und „Großes Glueck“ liegen umgeben von Feldern, Sielen und grasenden Schafen im idyllischen Nirgendwo. Wie schafft man ein Zuhause auf Zeit?
Martje: Ich erinnere mich noch, wie ich früher im Urlaub die Ferienhäuser oft ganz schrecklich fand und mir dachte: So möchte ich auf gar keinen Fall wohnen! Das wollten wir unbedingt anders machen. Unser Ziel ist, dass die Gäste nicht das Gefühl haben, es sich nerst nett machen zu müssen, weil es eben schon richtig gemütlich ist. Außerdem war uns das Erleben der Häuser sehr wichtig. Deshalb haben wir die Struktur der Gebäude kaum verändert. Wir haben zwar Wände rausgenommen, aber die Fensteröffnungen sind alle genauso geblieben, wie sie waren. Bei der Einrichtung und der Gestaltung war uns Nachhaltigkeit sehr wichtig. Vieles haben wir aus der Familie oder von Flohmärkten bekommen, die Wände sind mit Naturfarben bemalt, die Olaf selbst angemischt hat.
Dieses Liebevolle merkt man sofort! Als ich hier reinkam, habe ich ja auch gleich meine Schuhe ausgezogen und jetzt würde ich am liebsten bleiben.
Martje: Genau das wollen wir, dass sich dich Gäste sofort wohl fühlen. Und der erste Eindruck überzeugt. Deshalb stellen wir auch immer frische Blumen auf den Tisch. Außerdem sind beide Häuser mit Spielzeug, Büchern und Essenziellem für Kinder ausgestattet. So müssen unsere Gäste nicht alles mitschleppen. Wer will, kann bei uns übrigens auch Yogakurse besuchen. Und es gibt ein richtig gutes Frühstück. Im Garten gibt es eine Sauna. Und das schönste: kein WLAN.
Was wünscht ihr euch denn für die Region hier?
Olaf: Ich wünsche mir, dass die Landwirtschaft – vor allem die immer größer werdenden Ställe mit immer mehr Kühen, die immer mehr Milch produzieren müssen – wieder etwas zurückgeht. Die Bauern haben es natürlich nicht leicht, aber es wäre schön, wenn das alles wieder ein bisschen kleiner werden könnte.
Martje: Ich wünsche mir auch, dass wir die Waage halten können. Wir haben uns eine Zeit lang über die Großstädter beschwert, die hier sämtliche Häuser kaufen. Andererseits konnten so viele Reetdachhäuser vor dem Zerfall gerettet werden. Für Einheimische ist es allerdings immer schwieriger geworden, hier ein Haus zu kaufen. Tourismus und Aufschwung sind wichtig, aber nicht um jeden Preis.
Und was wünscht ihr euch für euch selbst?
Martje: Für die Zeit nach Corona erhoffe ich mir Rücksicht und Respekt im Umgang mit der Natur, die wir hier vor der Tür haben. Wir lieben das Gastgeben, doch wir erleben einen Ausverkauf der Region mit allen Konsequenzen. Ich wünsche mir das Bewahren des Kleinen, wieder zurück zum Ursprung. Im Juli öffnen wir unser drittes Haus, den Lüttsandhof. Wir versuchen auch dort möglichst viel Material wieder zu verwerten, kaufen kein Plastik, sondern stellen die Einrichtung langsam und liebevoll zusammen mit Möbeln und Gegenständen von Trödler*innen und Händler*innen vor Ort. Ich habe Hoffnung, dass wir alle gemeinsam noch was wuppen können – für uns, das Klima, und die nachfolgenden Generationen.
Fotos: Uta Gleiser