„Bei Parkour geht es darum, sich etwas zu trauen – und zuzutrauen!”

DIE HALLE ist ein Herzensprojekt von Hamburger Parkourläufer:innen der ersten Generation und die erste Parkour- und Freerunning-Halle in Norddeutschland. Im Interview erzählt Projekt- und Marketingleiterin Jette Krauss von der Arbeit mit Geflüchteten, weiblichen Vorbildern und dem Struggle vor dem Sprung.

Interview: Sabrina Waffenschmidt / Fotos: Die Halle, Yvonne Schmedemann

 
Jette Kraus ist Projekt- und Marketingleiterin bei Die Halle (Foto: Die Halle)

Jette Kraus ist Projekt- und Marketingleiterin bei Die Halle (Foto: Die Halle)

Die Halle hat 2017 als Herzensprojekt der Hamburger Parkour-Community geöffnet. Was macht sie so einzigartig?

Die Idee einer Parkour-Halle ist schon viel früher in der Hamburger Parkourszene entstanden. Das mag vielleicht auch am Wetter liegen. Denn obwohl Parkour auf der Straße entstanden ist und trainiert wird, lässt das Hamburger Wetter das Training draußen oft nicht zu und der Bedarf nach einer wetterfesten Trainingsmöglichkeit war groß.  

2014 hat eine Gruppe um „Batte“ Sebastian Ploog, „Borne“ Felix Bornemann und Ben Gallinat den Parkour Creation e.V. gegründet, mit dem Ziel eine Parkour-Halle in Hamburg zu schaffen. Damals hat noch niemand daran gedacht, das irgendwann mal hauptberuflich zu machen. Drei Jahre später folgte nach kleinen Pre-Openings und Testphasen dann das offizielle Opening der HALLE: mit fest verbautem Parkour-Park, Foampit, Umkleidekabinen, Kursraum, unserer Guten Stube zum Chillen und der Gastronomie und so weiter.

Einzigartig ist, dass wir keine kommerzielle Halle sind, sondern ein gemeinnütziges Community-Projekt, getragen von unserem Sportverein. Hier ist man also Mitglied und nicht Kund*in. Neben der Halle bieten wir außerdem ein breites Projektprogramm – von Theaterprojekten über Schulkooperationen, unseren Vereinskursen bis zur Arbeit mit Geflüchteten. Wir sind die Halle für alle!

 

Was ist das Faszinierende an Parkour?

Mich persönlich fasziniert ein ganz praktischer Aspekt: Ich finde es einfach wahnsinnig cool, eine Mauer zu überwinden, die unüberwindbar scheint. Das Großartige ist sicherlich auch, dass man ständig die eigenen Grenzen austestet. Der schwierigste Moment ist ja meist der vor dem Absprung. Das kommt in Videos auf Social Media oft zu kurz. Man sieht meist nur herausragende Sprünge, aber nicht den minutenlangen Struggle, der dem Sprung vorausgegangen ist. Parkour ist eine ständige Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und es geht auch darum, immer ein Stückchen mutiger zu werden, sich etwas zu trauen und zuzutrauen. Besonders an diesem Sport ist aber auch die eng vernetzte internationale Community. Und nicht zuletzt: Man kann Parkour überall machen. Klar ist es toll, eine gut ausgestattete Halle mit gepolstertem Boden und mobilen Hindernissen zu haben, aber man kann eben auch vor der eigenen Haustür an der Bordsteinkante üben.

Du sagtest es gerade: Parkour braucht Mut. Wie überwindet man denn mithilfe des Sports die eigenen Ängste?

Ängste überwindet man in vielen kleinen Schritten. Man fängt nicht mit einem 5-Meter-Sprung von einer Hauswand zur nächsten an. Eine Basistechnik von Parkour ist zum Beispiel der „Prezi“ – ein präziser Sprung mit sauberer Landung. Den übt man zu Beginn an einer Markierung auf dem Boden. Dann geht’s weiter mit einem flachen Holzblock, einer kleinen Kante, später von Kasten zu Kasten, von einer Stange auf die nächste und so weiter. Die Entfernung wird Stück für Stück gesteigert, die angestrebte Fläche zur Landung verringert, sodass der Sprung immer präziser und damit sicherer wird. So baut man Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten auf und überwindet mentale Hürden.

Es ist wie bei anderen Sportarten: Man tastet sich langsam heran. Halt gibt einem auch die Unterstützung in der Gruppe. Es freuen sich immer alle mit, wenn eine:r seit Stunden, Tagen oder vielleicht sogar Wochen einen Sprung oder eine Line trainiert – und es dann schafft!

Ein Schwerpunkt eurer Arbeit ist die Arbeit mit Geflüchteten, sozial benachteiligten sowie be_hinderten Kindern und Jugendlichen. Was ist an dieser Arbeit so wichtig?

Sport ist verbindend und spricht eine Sprache, die alle verstehen. Unsere Kurse sind gemischt, man lernt voneinander und kommt schnell in Kontakt, die Parkour-Community ist sehr offen und einladend, jede:r ist willkommen, unabhängig von Herkunft, sexueller Orientierung oder physischen Skills. Wir haben in unseren Projekten mit Geflüchteten selbst sehr viel gelernt. Es ist herausfordernd mit Kids zu arbeiten, die teilweise traumatisierende Erfahrungen gemacht haben und das Erlebte dann mit in den Kurs bringen. Damit gehen wir sensibel um, lassen Raum und öffnen durch das gemeinsame Training in der Gruppe neue Perspektiven für Interaktion und Miteinander. Dabei sehen wir immer wieder herausragende Entwicklungen, die nicht zuletzt auch durch das Vertrauen in der Gruppe ermöglicht werden.

Das Gleiche gilt für Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen. Parkour ist für alle: Es gibt keine Regeln, nur Techniken. Deswegen gibt es kein richtig oder falsch. Es geht um Spaß an Bewegung und um Kreativität – das ist mit jedem Körper möglich.  Und mit erlernten Techniken eine scheinbar unüberwindbare Hürde zu meistern, reißt auch die Mauern in den Köpfen ein, stärkt das Selbstvertrauen und Körpergefühl.

Foto: Yvonne Schmedemann

Foto: Yvonne Schmedemann

 
Foto: Yvonne Schmedemann

Foto: Yvonne Schmedemann

Du bist eine von zwei Frauen in einem Team aus Männern. Täuscht der Eindruck oder ist der Sport tatsächlich sehr männerdominiert?

Parkour ist leider immer noch sehr männlich geprägt. Das liegt sicherlich auch daran, dass weibliche Role Models fehlen. Schaut man zum Beispiel auf Social Media, sieht man 80 Prozent Bilder von männlich gelesenen Personen, die (teilweise oberkörperfrei) krasse Sprünge machen. Da entsteht schnell die Vorstellung, dass der Sport nur was für Jungs ist. Zum Glück ändert sich das gerade und es gibt immer mehr weibliche Traceure, also Parkourläufer:innen. Wir freuen uns riesig, seit anderthalb Jahren Renea Dambly als Trainerin in unserem Team zu haben: Sie ist nicht nur bei uns ein Vorbild für viele Mädels, sondern auch international bekannt und hat eine große Reichweite auf Instagram. Es ist auch wichtig für die Jungs, dass sie starke Frauen sehen und denken: Wow, die ist ja auch krass!  

Du bist Projektleiterin für Luftsprung – euer erstes Projekt speziell für Mädchen. Warum ist so ein geschützter Raum wichtig?

Es gibt immer wieder Strömungen in der Community, die eine Girls Only-Klasse als spaltend oder exklusiv wahrnehmen, aber im Moment braucht es einfach noch solche Safe Spaces. Denn die Community wird manchmal von außen nicht so zugänglich wahrgenommen, wie sie eigentlich ist. Das beginnt schon damit, dass viele männlich gelesene Traceure ohne Shirt trainieren, für heranwachsende Frauen ist das teilweise abschreckend bis triggernd, von der Fairness mal ganz zu Schweigen. Deswegen mache ich im Team oft klar: Es wäre cool, wenn ihr beim Training ein T-Shirt anzieht und auch eure Freunde dafür sensibilisiert. Das stößt immer auf großes Verständnis, wird bis dahin aber gar nicht als Problem wahrgenommen – mein Job ist also auch eine große kommunikative Aufgabe.

Der Safe Space kann räumlich gesehen werden, aber auch das Vertrauen innerhalb einer Gruppe bietet Sicherheit. Die Kombination mit empowerndem Training ist der Ansatz von Luftsprung. Wir planen Kurse mit einer festen Gruppe von zehn bis 15 Mädchen außerhalb von DIE HALLE. Ein halbes Jahr lang werden hier Basics unterrichtet und erste Hürden genommen, sowie das Bonding in der Gruppe gestärkt, damit Mädels danach selbstbewusst in der Halle trainieren können.

Was wünschst du dir für Die Halle und den Sport?

Für DIE HALLE wünsche ich mir nach diesen sehr herausfordernden anderthalb Jahren wieder mehr Stabilität und Kontinuität. Für die Community wünsche ich mir natürlich noch mehr weibliche Role Models, wenig Dogmatismus und viel Zusammenhalt. Ähnlich wie bei Skater:innen gibt es auch im Parkour mehr und mehr kommerzielle Strömungen, die die Community spalten. Manche Sportler:innen sehen das als Chance, mit ihrem Sport ihren Lebensunterhalt zu verdienen, andere lehnen die Kommerzialisierung und den Wettbewerb gänzlich ab. Ich würde mir wünschen, dass sich das in Zukunft gut miteinander verbindet und beides seine Berechtigung haben kann.

Mehr Informationen über DIE HALLE: www.diehalle.hamburg