"Wir möchten eine sinnliche Naturerfahrung vermitteln"
Ein Interview mit der Fotografin und Designerin Kerstin Peters und dem Autor und „Draußenschreiber“ Roland Rödermund, die sich zusammen aufgemacht haben, um Hamburg als „city of green“ zu entdecken.
Fotos: Freya Najade, Kerstin Peters
Liebe Kerstin, warum sind Pflanzen als Motiv so faszinierend?
Kerstin: Pflanzen bieten aus sich selbst heraus eine Vielfalt an Farben und Formen, um großartige Bildkompositionen zu schaffen: weiche Übergänge, klare Kanten, sanfte und kräftige Farben, Farben in allen vorstellbaren Tönen, die tollsten und wildesten Formen. Jede Pflanze hat ihren eigenen Charakter – und lässt sich proträtieren wie ein Mensch.
Lieber Roland, was bedeutet Nature Writing für dich?
Roland: Für mich ist es der Versuch, mich der Natur schreibend zu nähern. Dabei möchte ich einen Wald oder eine Wiese nicht nur als Naherholungsgebiet oder Wellnesszone betrachten, die nur zu meinem Vergnügen da sind. Sondern als Orte mit einem Eigenleben, in denen es sehr vieles zu entdecken gibt, das auf den ersten Blick verborgen bleibt. Orte, die leider zunehmend bedroht sind. Beim Schreiben in, über oder vielleicht sogar mit der Natur verlangsamt sich mein Blick, ich werde ruhiger und gleichzeitig aufmerksamer.
Was genau gefällt euch daran, euch in der Natur aufzuhalten?
Roland: „Da draußen“ muss ich nichts erledigen, ich sitze oft einfach nur da, atme ruhiger, mein ganzer Apparat fährt runter. Jedes Mal gibt es diesen Punkt, an dem ich förmlich fühlen kann, wie ich in eine Art Flow gerate. Gleichzeitig hat es in mir schon immer Glücksgefühle ausgelöst, Tiere zu beobachten und Pflanzen zu betrachten und Zusammenhänge zu verstehen.
Kerstin: Es gehört mit zum Großartigsten, das man erleben kann, sich in die Szenerie eines solchen Ortes richtig einzuleben. Mich macht es absolut glücklich und es entspannt mich total. Natürlich kann es auch körperlich anstrengend sein, mit der schweren Ausrüstung herumzuklettern.
An den Texten fällt auf, dass sie sowohl essayistisch, journalistisch, andere fast schon poetisch sind. Warum? Was willst du den Lesenden mitgeben?
Roland: Der Stil hat sich für jeden Ort neu ergeben. Manchmal stieß ich bei der Recherche auf Interessantes, das ich dann aber vor Ort nicht gesehen habe, wie die Hirsche im Duvenstedter Brook. Trotzdem wollte ich davon berichten. Oft bin ich beim Schreiben aber auch eher einer Empfindung nachgegangen, weniger einer genauen Beschreibung, dann wurde es ein eher persönlicher oder literarischer Text aus der Ich-Perspektive. Gedichte oder Zitate, die ich fand, sollen manche Texte ergänzen oder auch kontrastieren. Grundsätzlich möchte ich die Lesenden dazu inspirieren, selbst rauszugehen und sich ein Bild zu machen, einen Ort kennenzulernen. Das braucht ein bisschen Zeit und Geduld – aber ich würde sagen, es lohnt sich immer.
Kerstin, gibt es so etwas wie das Warten auf den „richtigen Moment“, wie sonst in der Naturfotografie?
Kerstin: Das Licht ist der wichtigste Faktor, und damit der Zeitpunkt. Man ist total abhängig von Wetter und Tageszeit. Windig kann auch toll sein, es muss nicht nur „schön“ sein. Ich habe noch nie im Leben so oft in die Wetter-App geschaut wie während der Arbeit an „city of green“. Ich warte eigentlich nicht, wenn schlechtes Wetter ist, denn ich nehme mir nie was Konkretes vor. Es ist spannender, einfach loszugehen. Was beeindruckt mich im Hier und Jetzt? Die Natur verändert sich ständig und damit mein Blick auf sie. Man ist nicht der Regisseur hier. Man muss sich dem unterordnen, was passiert. Mal ist diese Pflanze toller, mal die andere.
Roland, du leitest auch Workshops, die das Schreiben in der Natur vermitteln. Kannst du uns eine einfache Übung verraten, wie jeder von uns in der von dir beschriebenen Weise mit der Natur „in Verbindung“ treten kann?
Roland: Klar. Ich würde empfehlen, sich erst mal einen sogenannten Sit Spot zu suchen, eine Stelle im Freien, die einen irgendwie anspricht. Das kann eine Lichtung im Wald sein, eine Stelle am Fluss, der Strand oder auch die Parkbank im Stadtpark. Wichtig ist, sich beim „Ansitzen“ Zeit zu nehmen, sich von Erwartungen zu lösen, dass etwas Spannendes passieren muss oder man sofort die grüne Erleuchtung erfährt. Kurz die Augen schließen, atmen, lauschen, riechen, fühlen, vielleicht sogar schmecken. Dann alles in Ruhe beobachten, sich eventuell auf ein Detail fokussieren. Entweder an Ort und Stelle oder später am Schreibtisch schreibt man einen kurzen Text anhand folgender Fragen: Was habe ich gesehen? Was daran hat mein Interesse geweckt? Was hat das in mir ausgelöst? Vielleicht kristallisiert sich daraus eine Erinnerung oder Idee, die wiederum zum Ausgangspunkt für einen weiteren Text wird.
Ihr seid in insgesamt 30 Parks und Grünanlagen in und um Hamburg „auf Pirsch“ gegangen. Wie seid ihr vorgegangen, euch so einen Park zu erschließen, wieviel Zeit habt ihr in den einzelnen Parks verbracht?
Kerstin: Das war ganz unterschiedlich, beim Duvenstedter Brook braucht man bestimmt vier, fünf Stunden, um sich erst mal zu orientieren. Aber egal, ob ich länger oder kürzer da war, es ging mir immer darum, den Charakter einer solchen Location einzufangen. Jede Pflanze ist ein Moment der Inszenierung dieses Environments – es geht aber um die Beschreibung der gesamten Szenerie. Ich bin keine Botanikerin, die Art für Art dokumentiert. Mit geht es darum, die sinnliche Erfahrung zu vermitteln, die in so einem Park möglich ist.
Roland: Das geht mir beim Schreiben auch so. Ich hielt mich auch mindestens so drei bis vier Stunden an einem Spot auf. Ich recherchierte im Vorfeld, aber nicht zu viel, um nicht voreingenommen zu sein. Manche Orte laden eher zum Durchwandern oder -spazieren ein, andere wollte ich zunächst im Sitzen oder sogar Liegen kennenlernen. Wenn ich einen Park wie „Planten un Blomen“ in meiner Nachbarschaft vermeintlich schon in- und auswendig kannte, musste ich mich selbst erst mal ein wenig visuell „umpolen“, um mit neuen Augen draufzuschauen.
Roland, kanntest du die meisten Pflanzen schon – oder hat dir die Arbeit an dem Buch auch zu richtigen Neuentdeckungen verholfen?
Roland: Eine Neuentdeckung waren für mich die Kratt-Eichen in Wittenbergen, den „Monkey Puzzle Tree“ im Volkspark fand ich auch spannend. Und natürlich die Palmen in „Park Fiction“. Leider ist es bei mir mit Pflanzennamen genauso wie mit Namen von Personen: In der Sekunde, wo ich sie höre, habe ich sie sofort wieder vergessen … also ich bin ein großer Fan von Pflanzenerkennungs-Apps.
Glaubt ihr, dass das Schreiben über Natur helfen kann, sie zu schützen? Oder anders: Hat die Natur eigentlich auch was davon?
Roland: Ich würde sagen, indem ich mich als Teil eines größeren Ganzen wahrnehme und diesem Gefühl Ausdruck verleihe, kann ich vielleicht einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass es anderen beim Lesen auch so geht. Um die Natur zu schützen, dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen, geht es ja auch grundsätzlich erst mal darum, das Bewusstsein zu wecken, dass wir und die Natur gar nicht voneinander getrennt sind. Und dass wir sie nicht zuletzt deshalb nicht einfach nur konsumieren und ausbeuten oder als „Ding“ betrachten dürfen.
Kerstin: Die Natur bewusst wahrzunehmen – das hat so viele Effekte. Ich habe während der Arbeit an dem Buch Hamburg neu kennengelernt, kam an Ecken, wo ich noch nie war. Ein naturgeschützter, wilder Auenwald mitten im Wilhelmsburger Hafengebiet oder ein Moor mitten in Eppendorf – es ist auf so vielen Ebenen bereichernd, das kennenzulernen. Es liegt so nahe – und doch hatte ich es bisher übersehen.
Wie weit lassen sich Parkanlagen als „Natur“ bezeichnen?
Kerstin: Klar ist eine Wildnis toll. Aber inszenierte Natur finde ich auch wunderbar! Man muss Natur nicht in Ruhe lassen, damit sie schön ist.
Roland: Natur heute ist immer schon kultiviert und von uns Menschen beeinflusst – besonders in Parks, die ja dazu angelegt wurden, Erholung und Schönheit zu bieten, im Gegensatz zu einem natürlich gewachsenen Wald – den es heute aber auch nicht mehr gibt. Stadtparks sind oft eine interessante Mischung aus künstlich geschaffenen und natürlichen Elementen: Grünflächen neben Stadtwald und angelegten Wasserflächen, Spielplätzen und anderen vom Menschen geschaffenen Strukturen. Und die verraten jedenfalls sehr viel über die sich wandelnden Vorstellungen und Wünsche, die wir von und an die Natur haben.
In welcher Stadt würdet ihr gern eine weitere Ausgabe von „city of green“ machen?
Kerstin + Roland: Berlin wäre sicher spannend. Interessant im Kontext von Stadt und Land wäre auch das Ruhrgebiet oder auch eine Stadt, die wir noch gar nicht kennen. Ach, eigentlich jede – vielleicht eine Deutschland-Gesamtausgabe …?